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                                                                                Heute kommt Papa zurück

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Heute kommt Papa zurück. Oma singt schon den ganzen Tag und kehrt erneut den Boden. Mama hat den Boden schon gekehrt. Aber mit dem Staubsauger. Oma hasst den Staubsauger. Ein „Instrument der Faulheit“ nennt sie ihn. Jetzt bückt sie sich und fährt mit dem Besen über den braunen Teppich und beseitigt Schmutz, den nur sie sehen kann. Dabei schwingt sie mit dem Hintern und summt eine Melodie vor sich hin. Ich denke an ihren Rücken. Sie bekommt später bestimmt Schmerzen. Sie beklagt sich ständig über ihren schlechten Rücken. Wieso macht sie das dann? Erwachsene sind komisch.

Während Oma ihre Freude kaum verbergen kann, schaut Mama seit Tagen nur noch traurig. Sie will nicht mehr mit mir spielen und einmal hörte ich sie weinen. Sie war am Telefon mit Tante Ifeoma. Sie sagte: „Jetzt macht er alles kaputt. Was soll ich denn da drüben? An diesem gottverdammten kalten Ort. Außerdem kennen wir uns ja gar nicht mehr. Nach so vielen Jahren.“ Sie schluchzte. Ich wollte sie trösten, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie kann ich ihr helfen, wenn ich sie nicht einmal verstehe? Erwachsene sind echt komisch.

Ich frage Mama, warum Papa erst jetzt zurückkommt, nach so vielen Jahren.

„Weißt du, das Leben ist gar nicht so einfach da in Europa. Und dein Papa muss hart und lange arbeiten. Damit es euch hier so gut geht. Erst jetzt gelingt es ihm, nach Hause zu kommen.“ Die Antwort kommt von Oma.  

„Und seit wann ist er weg?“

„Das weißt du doch. Das habe ich dir schon so oft gesagt“, antwortet Mama.

Ja, das stimmt. Aber ich möchte, dass sie es mir nochmals sagt. Ich möchte nur, dass sie aufhört, ins Leere zu schauen, dass sie lächelt.

„Als du noch in meinem Bauch warst“, fügt sie hinzu. „Und wie lange ist das schon her?“ Jetzt muss ich ihre Frage beantworten.

Ich hebe meine rechte Faust und fange an, die Finger einen nach dem anderen auszustrecken. Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger, Daumen, nochmals Zeigefinger, nochmals Ringfinger.

„Sieben Jahre“, sage ich. 

„Sehr gut, mein Schatz.“ Sie streicht mir über den Kopf und lächelt mich an. Sie mag es, wenn ich ihr zeige, was ich in der Schule lerne.

Wird Papa mich auch so anlächeln? Wird er sich freuen, wenn ich die Zahlen aufsage?

An meinem siebten Geburtstag sagte er am Telefon zu mir: „Du bist jetzt ein junger Mann und du musst auf Mama und Oma aufpassen. Das heißt kein Rumgeheule mehr. Du musst stark sein. Verstanden?“ Mit dem Rumgeheule spielte er bestimmt auf die Zeit an, als unser Hund überfahren wurde und ich tagelang traurig war.  

Aber ich habe nicht geweint, als ich gestern beim Friseur war und er die Spitze des summenden Geräts hinter meinen Ohren ansetzte. Ich hatte tierisch Angst und wäre am liebsten weggelaufen. Aber ich wusste, das hätte Papa nicht gefallen. Also habe ich die Augen zugedrückt. Mama wollte, dass ich mich auf ihren Schoß setzte, wie immer. Aber das wollte ich nicht. Das hätte Papa nicht gefallen. Ich habe auch nicht geweint, als Dayo mich vor ein paar Wochen auf den Boden drückte, weil ich ihn ein Nilpferd genannt hatte. Diesmal haute er mir nicht auf den Kopf, wie er es immer getan hatte, sondern schob mir gleich eine Handvoll Sand in den Mund, während die anderen Schüler ihm zujubelten. Nein, da habe ich nicht geweint. Wobei … Na ja, was konnte ich dafür, dass mir ein paar Körner in die Augen gekommen sind.

Es klopft an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, schiebt Onkel Steven seinen Kopf durch den Spalt, einen großen Kopf. Mindestens viermal so groß wie der von dem Nilpferd. Der ist eigentlich nicht mein richtiger Onkel. Aber Mama sagt, ich soll zu ihm „Onkel“ sagen. Ich mag Onkel Steven nicht. Und ich denke, er mag mich auch nicht. Wenn Mama da ist, kneift er mir immer in die Wangen und nennt mich „schlauer Junge“. Aber dann schaut er mich böse an, wenn wir alleine sind. Mama mag Onkel Steven. Sie kichert, kocht und macht sich schön, wenn er da ist. Manchmal kauft er mir Kekse. Aber nicht die guten mit rosa Creme in der Mitte, sondern die harten und trockenen, die einem zwischen den Zähnen stecken bleiben.

Mama und Onkel Steven gehen nach draußen und reden in leisem Ton. Oma legt die Stirn in Falten und murmelt etwas. Oma mag Onkel Steven nicht. Aber andererseits mag sie Mama auch nicht. Ehrlich gesagt, ich denke, Oma mag niemanden, außer mir. Sie streiten sich ständig. Sie nennt Mama eine Schlampe und eine schlechte Frau für ihren Sohn. Ich weiß nicht, was „Schlampe“ bedeutet. Aber es ist bestimmt kein gutes Wort. Denn Mama wird immer laut, wenn Oma das sagt.

„Zum Glück siehst du aus wie dein Papa. Sonst hätte man sich gewundert“, sagte Oma einmal zu mir, nachdem sie sich mit Mama gestritten hatte. Erwachsene reden oft komisch. 

Onkel Steven kommt wieder rein und sagt: „Ich gehe jetzt zum Flughafen. Sein Flug landet in einer Stunde. Und freust du dich auf deinen Papa?“

Ich nicke.

„Gehst du nicht mit?“, fragt Oma.

„Nein, ich bleibe hier“, antwortet Mama.

„Eine andere Frau hätte sich gefreut, ihren Mann nach so vielen Jahren wieder zu sehen.“

Ich habe Angst, dass sie sich wieder streiten. Aber zum Glück sagt Mama nichts.

Zwei Stunden später ist weder Papa noch Onkel Steven da. Aber die Gäste schon: Onkel, Tanten, Cousinen und ein paar Nachbarn. Ich trage die neuen Sachen, die Mama für mich machen ließ: ein weites Oberteil und eine lange Hose. Es kratzt so furchtbar. Ich wollte mein Lieblings-T-Shirt und eine kurze Hose tragen. Aber Mama meinte, wir müssen für Papa schön aussehen. Sie trägt auch ein neues Kleid, aus demselben Stoff wie meine Sachen. Oma hat auch etwas Neues an. Aber aus einem anderen Stoff. Sie wollte eigentlich, dass wir uns alle gleich anziehen. Aber der Stoff, den Mama ausgewählt hatte, reichte nun einmal nur für zwei Personen. Trotzdem sieht Oma schön aus in dem glitzernden Kleid und der großen Kopfbedeckung.  

Auf einmal öffnet sich die Tür. Es wird still. Onkel Steven trägt zwei große Koffer und einen ebenfalls großen Rucksack. Hinter ihm ein Mann. Oma schreit und wirft die Arme um Papas Hals. Schluchzend sagt sie wiederholt: „Mein Sohn ist zurück.“ Die Gäste klopfen ihm auf die Schulter und sagen alle: „Willkommen zurück.“

Er ist groß, größer als auf den Fotos, die Mama mir immer gezeigt hat. Breit ist er auch. Vielleicht liegt es an der dicken Jacke, die er trägt. Er füllt den Raum aus. Er hebt mich hoch und drehte mich im Kreis, bis mir schwindelig wird. Mama umarmt Papa. Sie hat Tränen in den Augen.

Jetzt ist es spät. Wir liegen zu dritt im Bett, ich in der Mitte. Die Gäste sind jetzt alle weg mit den Geschenken und Süßigkeiten, die Papa mitgebracht hat. Es ist dunkel und ruhig. Nur der quietschende Deckenventilator ist zu hören.

 „Ich kann es kaum erwarten, bis wir alle in Deutschland sind“, sagt Papa.

„Kommt Onkel Steven auch mit?“, frage ich und spüre wie Mamas Finger an meinen Schultern fester werden.

„Was stellst du für Fragen! Natürlich nicht. Nur wir drei“, antwortet Papa.

Sehr gut. Kein Onkel Steven, kein Nilpferd. Nur Papa, Mama und ich. Es wird schön.

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